Luxemburg Leaks



Dank dem Whistleblower Antoine Deltour und dem französichen Journalisten Edouard Perrin, dem er sich anvertraut hat, wissen wir, daß viele Konzerne in Europa teils nur obszön niedrige Steuern zahlen müssen. Als Mitarbeiter des Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers (PwC) hat er die LuxLeaks Affäre ins Rollen gebracht. Auf der Liste der Steuersparer stehen fast alle bekannten großen, transnationalen Unternehmen, darunter Google, Apple, Amazon, Starbucks, Mc Donald´s, FedEx, IKEA, PepsiCo, Heinz, Procter & Gamble, Microsoft und viele andere.

Die Luxemburger Behörden haben in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen PwC einigen Unternehmen Steuervorteile, die in einer Besteuerung von unter 1% gemündet haben, gewährt 1. Auch Belgien, die Niederlande und Irland waren mit von der Partie. Mc Donald´s soll etwa durch die Umgehung eines Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Luxemburg und den USA zeitweise überhaupt keine Steuern gezahlt haben 2. Google wiederum etwa hat durch das Verschieben seiner Asien- und Europagewinne von Irland auf die Bermudas nur 5% Steuer gezahlt 3.

Zu den Steuertricks der Konzerne gehören u.a. Scheinkredite, hohe Lizenzgebühren an Steueroasen oder die interne Verrechnung von Waren und Dienstleistungen zu marktfernen, d.h. erfundenen Preisen. Das funktioniert so, daß ein Konzern zuerst hohe Kapitalmengen in ein Steuerparadies verschiebt und dann von dort aus Kredite dorthin gewährt, wo die tatsächliche, operative Geschäftstätigkeit stattfindet, sodaß sich die Zinsen dann dort von der Steuer absetzen lassen. Laut Wikipedia soll es sich dabei tatsächlich zum Teil um echte Scheinkredite gehandelt haben, da es keine Kreditvereinbarung gab und auch keine Zinsen gezahlt wurden, die Kredite also nur auf dem Papier existiert haben. Die Zahlung von überhöhten Lizenzgebühren zusätzlich zu fiktiven Kreditzinsen ist ein anderer, aber vergleichbarer Griff in die Steuertrickkiste.

Die vier führenden Unternehmen der Steuervermeidungsindustrie heißen Deloitte, Pricewaterhouse Coopers, KPMG und Ernst & Young. Laut dem von der EU ins Leben gerufenen LuxLeaks-Sonderausschuss, der sich um die Abschaffung dieser Steuervermeidungstricks kümmern soll, entgeht Europa damit jährlich eine Summe von einer Billion Euro 4. Viele Fusionen von Firmen sind außerdem überhaupt nur aus steuerlichen Gründen vorangetrieben worden. Wenn ein Konzern nämlich mit einer Firma in einem Niedrigsteuergebiet fusioniert und anschließend seinen Hauptsitz dorthin verlagert, lassen sich dabei wiederum ordentlich Steuern sparen (→Steuerinversion). Bei Firmenzusammenlegungen zocken vor allem Investmentbanken wie Goldman Sachs (88%), Morgan Stanley, J.P. Morgan und die Bank of America ab 5.

Antoine Deltour, der sich als Angestellter der Firma PricewaterhouseCoopers dem französichen Journalisten Edouard Perrin anvertraut hatte, steht bereits unter Anklage. Ihm drohen bis zu 5 Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von einer Million Euro 6. Sein Haus soll bereits durchsucht, sein Computer beschlagnahmt worden sein 7. Der luxemburgische Staat beschuldigt Antoine Deltour u.a. wegen Diebstahls, des illegalen Zugriffs auf ein Computersystem, der Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen, des Bruchs der beruflichen Schweigepflicht und des Besitzes gestohlener Dokumente 8.

Mit einem neuen Gesetz könnte die Lage für Whistleblower aber noch viel schlimmer werden. Transnationale Konzerne haben es in langer Hand vorbereitet, ohne daß die Öffentlichkeit viel davon zu wissen bekommen hätte. Fordern Sie deshalb das Europäische Parlament auf gegen dieses Gesetz zu stimmen:

Währenddessen haben Verantwortliche und Konzerne natürlich keinerlei Strafen für ihr im grunde teils betrügerisches Vorgehen zu befürchten. Das Schlimmste, was ihnen allem Anschein nach passieren kann, sind Steuernachzahlungen. Es wird ja auch immer wieder betont, daß die beschriebenen Steuertricks unter der jeweiligen Landesgesetzgebung, legal waren. Nichtsdestoweniger konnte der von der EU-Kommission unter Jean Claude Juncker ins Leben gerufene LuxLeaks-Sonderausschuss zahlreiche Verstöße gegen EU-Beihilfevorschriften feststellen, die von den Finanzministern der involvierten Niedrigsteuerländer so nie gewährt hätten werden dürfen. Weiters und wahrscheinlich noch viel wichtiger ist aber, daß sich dieser Sonderausschuß um das Schließen der Lücken in der Gesetzgebung bemüht, daß also Gewinne letzten Endes einmal dort besteuert werden sollen, wo sie auch erwirtschaftet werden.

Dieser Sonderausschuß wurde vom EU-Parlament am 12.Februar 2015 eingesetzt. Gegen einen Untersuchungsausschuß gab es leider Bedenken seitens des juristischen Dienstes des Parlaments, der das Untersuchungsmandat als „zu vage” kritisiert hatte 9. Ein Untersuchungsausschuß hätte über noch weitreichendere Befugnisse verfügt. So wurde dem Sonderausschuß etwa eine interne Studie aus dem Jahr 1999, in der der Rat der Europäischen Union unfaire Steuerpraktiken untersucht hatte, vorenthalten.

Jean Claude Juncker, unter dessen Kommissionspräsidentschaft die Untersuchungen durchgeführt werden sollten, kam gleich zu Beginn der Untersuchungen unter Druck der Medien, da viele der fraglichen Steuerdeals zeitlich in seine luxemburgische Ministerpräsidentschaft fielen. Das obgleich Jean Claude Juncker bereits eine Zeit vorher gelobt hatte sich in seiner neuen Position in einer „Präsidentschaft der letzten Chance” für die europäische Politik entsprechend einzusetzen. Wir sind aber der Meinung, daß das Vorhalten alter Versäumnisse für die Zukunft nicht unbedingt etwas bringt, auch wenn gewisse Dinge gesagt werden müssen, schlimmstenfalls würde das seine Position entsprechend schwächen.

Immerhin gehen wir davon aus, daß er von den Steuerdeals wußte und so auch das notwendige Sachwissen mitbringen würde um etwas dagegen zu unternehmen. Medial unbeachtet hingegen blieb etwa, daß der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, bereit war „alle Rechtsmittel” gegen die Beanstandung von Steuervorteilen für die von seiner Regierung bevorteilten Starbucks - Gruppe einzulegen 10. Das ist definitiv kontraproduktiv, wäre in seiner Position als niederländischer Finanzminister aber durchaus zu verstehen gewesen; da Jeroen Dijsselbloem aber gleichzeitig Euro-GruppenChef ist, ist dies aber eine wahre Schande, weil er damit seiner Verantwortung nicht gerecht wird.

Eine der Fragen, die sich EZB-Präsident Draghi und auch Herr Dijsselbloem längst hätten stellen müssen, ist warum ihre aktuelle Niedrigzinspolitik nicht die gewünschte Wirkung hat die Wirtschaft dementsprechend anzukurbeln und einer möglichen Deflation vorzubeugen. Die Frage ist sicherlich nicht einfach zu beantworten, hängt sie doch von vielen Faktoren wie den durch Basel III geschaffenen Rahmenbedingungen oder den derzeit niedrigen Rohstoffpreisen ab.

Ein wesentlicher Faktor ist aber sicher auch, daß dem System laufend Geld entzogen wird, das in den Händen weniger landet und dann für Konsum und Investitionen fehlt. Eine abwehrende Haltung gegen den Kampf von Steuerflucht kontakariert damit wenig überraschend nicht nur eine mögliche Konjunkturerholung sondern längerfristig auch die geldpolitischen Ziele der EZB. Null- oder gar Negativzinsen können ja nur eine zeitlich begrenzte Notmaßnahme sein, die zudem nicht ohne erhebliche Risiken einhergeht (Spekulation, Blasenbildung, Minderung von Pensionen in Europa* etc.).

folgende Maßnahmen wären wahrscheinlich notwendig um eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung einleiten zu können:

Nun aber zurück zur LuxLeaks - Affäre. Schon bald nachdem der Sonderausschuß zur Steuervermeidung die Arbeit aufgenommen hatte, erging direkt an EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager, die offenbar zu gut gearbeitet hatte, ein Rüffel aus den USA 11. Der amerikanische Finanzminister Jacob Lew beschwerte sich in einem Brief, daß die Rückforderung illegal gewährter steuerlicher Staatsbeihilfen vor allem US-Unternehmen zu hart treffe. Dies sei nicht gerechtfertigt, betrieben doch die entsprechenden Unternehmen nicht einmal Forschung und Entwicklung in Europa.

Allerdings ist dieses Argument eine glatte Themenverfehlung, denn aus operativer Geschäftstätigkeit in Europa erwirtschaftete Gewinne wären legitimerweise auch hier zu besteuern. Unverhaltens ist es seither zumindest medial sehr still um die Luxemburg-Leaks Angelegenheit geworden. Ob es im Hintergrund auch entsprechende Drohungen gegeben hat, ist uns nicht bekannt. Fest steht aber, daß die USA nicht nur wirtschaftliche Mittel in der Hand haben, sondern auch die mediale Macht haben gezielt einzelne Personen diskreditieren zu können.

Nichtsdestotrotz präsentierte Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung, am 18.März 2015 ein SteuerTransparenzPaket (Tax Transparency Package), das im darauffolgenden Oktober von den Finanzministern auch in Kraft gesetzt worden ist. Dieses sieht den Austausch von Steuervereinbarungen (advance tax rulings) zwischen den Mitgliedsländern vor. Leider sind diese Informationen aber weiterhin weder der Kommission noch der Öffentlichkeit zugänglich, was von NGOs und dem Modell Europa-Parlament, das zur Übung für tatsächliche parlamentarische Tätigkeit dienen soll, auch kritisiert worden ist.

Am 17. Juni 2015 präsentierte Pierre Moscovici den Aktionsplan zur fairen und effizienten Unternehmensbesteuerung in der EU (Action Plan for Fair and Efficient Corporate Taxation in the EU). Die Unternehmensbesteuerung würde einer radikalen Reform bedürfen, damit jeder seinen fairen Anteil zahlt. Gewinne sollen dort besteuert werden, wo sie anfallen. Der Aktionsplan schlägt auch ein Wiederaufgreifen eines gemeinsamen Regelwerks zur Unternehmensbesteuerung (Common Consolidated Corporate Tax Base, kurz: CCCTB) vor, wie er bereits 2011 diskutiert worden, von Irland und Großbritannien damals aber abgelehnt worden war und jetzt im Laufe des Jahres 2016 vereinbart werden soll. Am 27. Jänner 2016 wurde schließlich noch ein überarbeiteter Aktionsplan mit erweitertem Informationsaustausch vorgestellt. Der muß allerdings noch von den Mitgliedsstaaten abgesegnet werden. NGOs haben auch diesen Plan als zu schwach kritisiert.

Auch die G-20 Gipfel 2014 in Brisbane und 2015 in Antalya haben sich um die Materie gekümmert, wenn man NGOs Glauben schenkt aber ohne durchschlagenden Erfolg, da die dort gefaßten Pläne als nicht ausreichend gewertet wurden. Trotz aller Bemühungen in dieser Sache ist zu befürchten, daß es keine ausreichenden und dauerhaften Fortschritte geben wird, wenn nicht auch die Quellen, i.e. sog. Whisleblower geschützt werden.

06.04.2016 -


* Das trifft hauptsächlich auf die Pensionen in Europa zu, da sich US-Amerikaner ihre Pensionen hauptsächlich über einen weit überhitzten Aktienmarkt besorgen.